– Rückblick: Bericht in der WAZ aus September 2020
Sexarbeiter André Nolte: Über seiner Arbeit steht die Lust an Dominanz und Unterwerfung, ausgelebt in erotischen Rollenspielen. FOTO: ANDREAS BUCK / FFS
Master André ist Sexarbeiter
44-Jähriger hat seinen Job als Kaufmann aufgegeben und sich als hauptberuflicher Dominus einen Namen gemacht. Seine Kunden sind Männer und Frauen
Von Jory Aranda
Mit medizinischem Gerät in der Hand sitzt Master André am Gynäkologenstuhl. Mediziner ist er nicht, das Zimmer auch keine Arztpraxis. In Wirklichkeit befindet sich der 44-Jährige in einem Themenraum der Bizarrfabrik (früher: alter bizarrer Bahnhof) in Neumühl: Der gebürtige Duisburger ist Dominus, also das männliche Gegenstück zu einer Domina.
Über seiner Arbeit steht die Lust am Spiel mit Dominanz und Unterwerfung – ausgelebt in erotischen Rollenspielen, die auch harte Bestrafungsszenerien nicht ausschließen. Zu ihm kommen Kunden mit „bizarren Fantasien, die tief verborgene Sehnsüchte befriedigen“, erklärt Master André, der sich auch Dominus Berlin nennt. Seit sechs Jahren ist Nolte Sexarbeiter, seinen sicheren Job als Kaufmann hat er zuvor an den Nagel gehangen – ein freiwillige Entscheidung, sagt er.
Mittlerweile hat er sich in ganz Deutschland als hauptberuflicher Dominus einen Namen gemacht. Zu seinen Kunden zählen sowohl Männer, als auch Frauen. Aktuell ist jeder fünfte Kunde weiblichen Geschlechts, Tendenz steigend. Das liege auch an der erfolgreichen und tabubrechenden Roman-Trilogie „Fifty Shades of Grey“, in der Zeile für Zeile ein sexuelles Spiel um Dominanz und Unterwerfung für viele weibliche Leser erlebbar wurde.
„Viele Frauen haben einen Partner und erwachsene Kinder.“
Die meisten seiner Kundinnen sind zwischen 40 und 50 Jahre alt. „Viele Frauen haben einen Partner und erwachsene Kinder.“ Emanzipiert seien alle seine Frauen. Und stark. Anders als bei verpartnerten Männern, die Bordelle auch heimlich besuchen, sei der Kontakt zu ihm abgesprochen. Es habe auch schon Ehemänner gegeben, die ihre Frauen zu einem Termin gebracht und draußen im Auto gewartet haben. Das, was sich hinter verschlossenen Türen der Bizarrfabrik abspielt, „lässt sich innerhalb einer Liebesbeziehung oft nicht abbilden“, erklärt Master André. Von der Norm abweichende, in der Partnerschaft unausgesprochene sexuelle Fantasien könnten die Paarbeziehung nachhaltig beeinflussen, so die Sorge einiger Kunden.
Der 44-Jährige ist bisexuell, ihn erregt aber nicht das Geschlecht, sondern die Hingabe seines Gegenübers. Anders als viele weibliche Dominas, die als Herrin unberührbar gelten, kommt der Geschlechtsakt in seinem Spiel vor. Oft bleibe es aber auch im Spiel um Macht und Unterwerfung. Über Unterschiede der Geschlechter sagt der Sexarbeiter: „Frauen haben eine viel höhere Schmerztoleranz.“ Männer erreichen zwar schneller ihre Grenzen, stattdessen seien sie in der Absprache unkomplizierter und direkter. Bei Frauen spiele wiederum Romantik sowie das Setting eine größere Rolle. „Sie saugen die Szenerie auf und nehmen das Drumherum wahr.“
Sein Verhältnis zum Kunden ist durchaus ein Paradoxon: Obgleich er in der Logik des Spiels die Macht hat, ist er als Dienstleister den Bedürfnissen seiner zahlenden Kunden ausgeliefert. Jedoch: Für einen verabredeten Moment gibt sich sein Kunde ihm hin, statt einer Begegnung auf Augenhöhe lässt er mit Worten und Handlungen ein Oben und Unten real werden. „Ich habe dann ein großes Spielfeld, auf dem ich mich ausbreiten kann. Ich genieße es, dass irgendwann ab dem Machtwechsel, meine Gedanken umgesetzt werden.“
Alles, was passieren soll, wird vorher besprochen und schriftlich fixiert. Auf seiner Internetseite müssen Kunden angeben, welche Praktiken gewünscht sind – zum Beispiel Wachs- und Fesselspiele oder der Einsatz von Masken und Augenbinden. Seine Macht existiert dann so lange, wie die Grenzen seines Kunden nicht erreicht sind.
Dominante Sexarbeit und das Machtinstrument Sprache
Sein wohl wichtiges Instrument: die Macht der Worte. „Ich verbalisiere, was passiert, wie ich mich fühle.“ Für den realen Charakter sei auch der Raum entscheidend: Im alten bizarren Bahnhof in Duisburg, neben Berlin seine zweite Wirkungsstätte, kann das Spiel etwa im Folterzimmer, einer Klinikzone oder dem Chefbüro stattfinden.
Dass nur Topmanager zu ihm kommen, die für einen kurzen Moment Verantwortung und Macht abgeben wollen, sei zwar ein Klischee – dass viele der Kunden Besserverdiener sind, liegt aber auf der Hand: Der Stundensatz für dominante Sexdienstleistungen startet bei 250 Euro ohne Grenzen nach oben. In Vor-Corona-Zeiten hatte er zwei Studiotage in der Woche mit bis zu drei Terminen.
In seinem Umfeld geht er offen mit seinem Beruf um, auch auf Partys sind seine Erfahrungen oft schnell Thema. „Ich würde mir aber in Gesprächen wünschen, dass es manchmal weniger um ‘Master André’ geht.“ Doch die Faszination und Neugierde über eine für viele fremde Welt ist oft zu groß. Eine Welt, die in NRW wieder betreten werden darf.